Interview von Martin Schlegel im Migros-Magazin
Publiziert am 8. September 2025. Das Gespräch führte Christian Dorer.
Herr Schlegel, Ihre Unterschrift steht auf Millionen von Schweizer Banknoten. Wie fühlt sich das an?
Sehr speziell. Einerseits freue ich mich darüber, andererseits wird mir so noch bewusster, welche Verantwortung mein Job mit sich bringt.
Wie erklären Sie Ihren drei Kindern, was Sie als Präsident der Nationalbank (SNB) machen?
Ganz einfach: Ich passe darauf auf, dass die Preise in der Schweiz möglichst stabil bleiben und so unser Geld seinen Wert behält, damit sich die Wirtschaft gut entwickeln kann.
Handelskonflikte, schwächelnde Weltwirtschaft, starker Franken – welche Rolle spielt da die Nationalbank?
Gerade in unsicheren Zeiten braucht es Verlässlichkeit. Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft: Firmen investieren weniger und stellen weniger Leute ein. Umso wichtiger ist, dass sie sich auf eine stabile Geldpolitik verlassen können.
Damit haben Sie als Nationalbankpräsident enormen Einfluss. Mehr als der Bundesrat, sagen manche.
Das sehe ich anders. Unser Auftrag ist Preisstabilität, mit der Geld- und Währungspolitik haben wir dafür ein klares Instrument. Der Bundesrat hat ein viel breiteres Aufgabengebiet und mehr Instrumente, deshalb lässt sich das nicht vergleichen.
Ab 2030 sollen die neuen Schweizer Banknoten in den Portemonnaies landen. Bis gestern lief der Wettbewerb, bei dem die Bevölkerung die Vorschläge bewerten konnte. Haben Sie schon einen Favoriten?
Es sind viele schöne Entwürfe dabei. Wichtig war für uns zu sehen, was bei den Menschen gut ankommt. Das Thema ist «Die Schweiz und ihre Höhenlagen», von den Tälern bis ins Hochgebirge.
Idyllische Landschaften statt spannende Persönlichkeiten, die polarisieren könnten: Ist das typisch Schweiz?
Wir haben das Thema gewählt, weil es den Gestalterinnen und Gestaltern viel Spielraum für Kreativität lässt und es Motive sind, die die Menschen in der Schweiz sofort wiedererkennen. Welcher Entwurf dann zu unseren neuen Banknoten weiterentwickelt wird, sehen wir Anfang nächsten Jahres.
Die letzte Serie wurde bis 2019 eingeführt. Wieso brauchen wir schon wieder neue Banknoten?
Banknoten sind Hightech: Wasserzeichen, Farbwechsel, UV-Effekte. All das erschwert Fälschungen. Jeweils nach etwa 15 Jahren ersetzen wir die Serie, um den Fälschern immer einen Schritt voraus zu sein. Das ist ein Wettlauf, bei dem die SNB den Vorsprung behalten muss. Die neuen Banknoten werden frühestens Anfang der 2030er Jahre ausgegeben.
Also ist das aktuelle Bargeld unsicher?
Keineswegs. Unsere Banknoten sind nach wie vor sehr sicher. Gute Fälschungen sind in der Schweiz selten, meist handelt es sich eher um plumpe Kopien. Die neue Serie festigt die Sicherheit und ist gleichzeitig ein klares Bekenntnis zum Bargeld.
Gilt Bargeld nicht als Auslaufmodell?
Etwa ein Drittel aller Zahlungen wird noch immer bar gemacht. Und über 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer möchten laut Umfragen auch künftig so bezahlen können. Für viele ist Bargeld Teil des Alltags. Aber natürlich müssen es die Menschen auch verwenden, um die langfristige Zukunft des Bargelds zu sichern.
Es gibt rund 500 Millionen Schweizer Banknoten, also 55 pro Person. Wo ist das ganze Geld?
Das wissen wir nicht. Bargeld wird anonym verwendet. Die Noten werden für Zahlungen und die Wertaufbewahrung eingesetzt.
Wenn uns Bargeld Sicherheit im Alltag gibt, was tut die Nationalbank, damit unser Geld seinen Wert behält?
Das wichtigste Instrument ist der Leitzins. Im Juni haben wir ihn auf null gesenkt. Das bedeutet: Kredite werden für Unternehmen und Privatpersonen billiger, Investitionen steigen. So wird die Wirtschaft sanft angekurbelt und die Preisstabilität gewahrt.
Gleichzeitig sind Sparerinnen und Sparer direkt betroffen: Wer Geld auf dem Sparbuch hat, bekommt kaum noch Zinsen. Ist das fair?
Die Zinspolitik hat immer zwei Seiten. Sparer und Kreditnehmer sind unterschiedlich betroffen. Mit dem Leitzins als Hauptinstrument sorgt die Nationalbank für stabile Preise und eine gute Entwicklung der Wirtschaft. Das kommt allen zugute.
Droht bald sogar wieder der Negativzins?
Wir sind uns bewusst, dass der Negativzins unerwünschte Nebenwirkungen haben kann, zum Beispiel für Sparer und Pensionskassen. Die Hürde, ihn wieder einzuführen, ist hoch.
Vom Nullzins zum Negativzins ist es ja nicht mehr weit. Hat die Nationalbank ihr Pulver zu früh verschossen?
In der Geldpolitik darf man nicht abwarten, wenn ein Entscheid nötig ist. Sonst muss man später stärker gegensteuern. Wir müssen vorausschauend und rechtzeitig handeln, um die Preise stabil zu halten.
Viele Sparer ärgern sich, dass Banken Zinsen schnell senken, beim Erhöhen aber lange zögern. Können Sie Druck machen?
Nein, das entscheiden die Banken selbst. Der Wettbewerb soll dafür sorgen, dass die Angebote fair bleiben: Wer unzufrieden ist, kann die Bank wechseln.
Sie haben die Inflation angesprochen. Worauf müssen wir uns mit Blick auf den Geldbeutel einstellen?
Laut unserer Prognose von Juni steigen die Preise dieses Jahr um 0,2 Prozent, nächstes Jahr um 0,5 und übernächstes um 0,7 Prozent. Einkäufe, Miete und Lebenshaltungskosten bleiben also weitgehend stabil.
Viele Menschen haben trotzdem das Gefühl, am Monatsende bleibt weniger übrig, etwa wegen steigender Krankenkassenprämien.
Die Prämien sind nicht Teil des Warenkorbs, die Gesundheitskosten schon. Dort sehen wir stabile oder leicht sinkende Preise. Die Prämien steigen, weil wir mehr Leistungen und mehr Medikamente beziehen. Das spürt tatsächlich jede Familie im Budget.
Der Franken ist stark, Euro und Dollar sind schwächer geworden. Geht das auf ewig so weiter?
Wechselkurse lassen sich kaum vorhersagen. Der Franken hat sich im Frühling vor allem gegenüber dem Dollar aufgewertet. Aber wenn man bedenkt, dass die Preise und damit die Kosten für die Unternehmen in anderen Ländern deutlich schneller steigen, ist die Aufwertung real gar nicht so gross, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Welche Auswirkungen haben die US-Zölle?
Sie schaffen zunächst viel Unsicherheit. Viele Unternehmen investieren weniger, und das hat negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Einzelne Firmen können natürlich stark von den Zöllen betroffen sein. Wie gross die Auswirkungen insgesamt sind, bleibt abzuwarten.
Wir haben viel über Geld, Zinsen und Franken gesprochen. Jetzt noch zu Ihnen: Sie waren erst 27 und frisch ab Studium, als Sie bei der Nationalbank angefangen haben. Wieso sind Sie damals nicht in die Privatwirtschaft gegangen?
Die Nationalbank ist eine Traumarbeitgeberin! Hier kann man als Ökonom etwas bewegen. Wenn wir einen guten Job machen, hilft das der Bevölkerung in der Schweiz. Das war mir immer wichtig.
Sie werden oft als humorvoll beschrieben. Ihr Job ist wohl einer der ernsthaftesten, den es gibt. Wie geht das zusammen?
Klar, Geld ist ein ernstes Thema, aber wir sind auch Menschen. Humor und vor allem ein gutes Team helfen, komplexe Themen besser zu meistern. Besonders auch in unruhigen Zeiten wie heute.