Hoher Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz: Konsequenzen für die Geldpolitik der SNB?

Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums

Universität Basel WWZ, Basel, 23.11.2017

Die Schweiz weist seit den 1980er-Jahren durchgehend einen Überschuss in ihrer Leistungsbilanz auf. Im Jahr 2016 betrug dieser Überschuss etwa 10% des Bruttoinlandprodukts. Gemäss einfachen Lehrbuchbetrachtungen deutet ein Leistungsbilanzüberschuss auf eine unterbewertete Währung hin.

Im Fall der Schweiz ist der anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschuss nicht Ausdruck eines zu schwachen Frankens. Vielmehr ist der Franken nach wie vor hoch bewertet. Zudem ist die Inflation weiterhin tief, und die Produktionskapazitäten sind noch nicht voll ausgelastet. Im aktuellen Umfeld bleiben der Negativzins und die Bereitschaft der Schweizerischen Nationalbank (SNB), bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, deshalb unverändert notwendig. Der Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz lässt sich durch drei Faktoren erklären.

Erstens führen statistische Verzerrungen dazu, dass der Leistungsbilanzüberschuss der Schweiz tendenziell überschätzt wird. Ein wesentlicher Teil der multinationalen Unternehmen in der Schweiz ist im Streubesitz ausländischer Investoren. Reinvestieren solche Unternehmen ihre Gewinne, werden diese statistisch vollumfänglich der Schweiz zugeordnet, obschon ein grosser Teil im Grunde dem Ausland gehört. Zudem weist die Schweiz traditionell eine tiefere Inflation bzw. tiefere Zinsen als das Ausland auf. Die höheren Nominalzinsen im Ausland blähen den Leistungsbilanzsaldo der Schweiz auf, weil die nominale Aufwertung des Frankens nicht berücksichtigt wird. Insgesamt führen diese statistischen Verzerrungen dazu, dass das Schweizer Nettoauslandvermögen trotz anhaltender Leistungsbilanzüberschüsse nicht laufend zunimmt.

Zweitens gibt es strukturelle Gründe für einen Leistungsbilanz- bzw. einen Sparüberschuss der Schweiz. Dazu gehört insbesondere die rasch alternde Bevölkerung. Wird der Schweizer Leistungsbilanzsaldo um die statistischen Verzerrungen korrigiert, widerspiegelt er einen Sparüberschuss, der im Lichte der demografischen Entwicklung und einer solide finanzierten Altersvorsorge durchaus gerechtfertigt ist.

Drittens wird die Höhe und Entwicklung des Leistungsbilanzsaldos in der Schweiz von zwei Branchen dominiert. Die Nettoexporte der Pharmaindustrie und des Transithandels reagieren nur wenig auf Wechselkursveränderungen, und ihre Bedeutung für die Leistungsbilanz ist deutlich grösser als für die Gesamtwirtschaft.

Aufgrund all dieser Faktoren ist die ausgewiesene Leistungsbilanz im Fall der Schweiz kein gutes Mass für die Beurteilung der Handelsströme sowie der Entwicklung des Auslandvermögens und auch kein guter Indikator für die Ausrichtung der Geldpolitik. Die Leistungsbilanz der Schweiz kann weder für die Beurteilung des fairen Aussenwerts des Frankens herangezogen werden, noch die Risiken in Bezug auf die Preisstabilität und die Konjunktur angemessen abbilden. Die SNB richtet ihre Geldpolitik deshalb auch nicht nach der Leistungsbilanz aus.