Kredite, Schulden und Wachstum

Fritz Zurbrügg, Vizepräsident des Direktoriums

Vorlesungsreihe Collegium generale, Universität Bern, Bern, 01.11.2017

Kredite sind Schulden, Schulden sind Kredite. Dennoch geniessen die beiden Begriffe einen gegensätzlichen Ruf. Während der Begriff Schuld negativ besetzt ist, weckt der Begriff Kredit gemeinhin positive Assoziationen. Die Zweischneidigkeit von Krediten bzw. Schulden zeigt sich auch aus volkswirtschaftlicher Sicht.

Auf der einen Seite sind Kredite eine der Grundlagen für das Gedeihen einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Dem Kreditnehmer helfen Kredite, sein erwartetes Einkommen über die Zeit optimal einzusetzen. Dem Kreditgeber wiederum eröffnen Kredite die Gelegenheit, sein erspartes Kapital optimal anzulegen. Für eine Volkswirtschaft als Ganzes stellt ein gut funktionierendes Kreditsystem somit einen wesentlichen Treiber von Wachstum und Wohlstand dar.

Auf der anderen Seite sind Kredite jedoch immer mit Risiken behaftet. Kredite können ausfallen und dabei sowohl Schuldner als auch Gläubiger belasten. Gesamtwirtschaftlich problematisch ist dies dann, wenn insgesamt übermässig viele Schulden aufgebaut wurden, so dass ein verbreiteter Ausfall von Krediten und damit verbunden eine eigentliche Schuldenkrise wahrscheinlicher wird. Derartige Krisen haben oftmals weitreichende Konsequenzen. Zum einen sind Kreditkrisen meist mit tieferen Rezessionen verbunden, als sie im normalen Konjunkturzyklus vorkommen. Zugleich verläuft die wirtschaftliche Erholung nach einer Kreditkrise oftmals schleppender als sonst.

Diesen Erkenntnissen zum Trotz kommt es in der Geschichte immer wieder zu Übertreibungen im Kreditmarkt, die letztlich in Krisen münden. Verschiedene eng miteinander verknüpfte Faktoren tragen ihren Teil zur Erklärung dieses Phänomens bei: Erstens treibt ein günstiges makroökonomisches Umfeld die Nachfrage nach und das Angebot an Krediten an. Zweitens kann die rationale Reaktion der einzelnen Kreditnehmer und -geber auf das günstige Umfeld dazu führen, dass sich systemische Risiken aufbauen. Und drittens spielen übermässig optimistische Erwartungen der Akteure eine Rolle.

Wie können die Nachteile einer übermässigen Kreditvergabe eingedämmt und gleichzeitig die wohlstandsfördernden Seiten einer nachhaltigen Kreditvergabe erhalten werden? Welche Rolle können und sollen dabei die Zentralbanken spielen?

Um ihr gesetzliches Mandat zu erfüllen, die Preisstabilität unter Berücksichtigung der konjunkturellen Lage zu gewährleisten, nehmen die Zentralbanken auch Einfluss auf die Bedingungen am Kreditmarkt. Aus Sicht der Preisstabilität kann es notwendig sein, die Zinsen lange tief zu halten. Dies trägt jedoch unter Umständen dazu bei, dass es über die Zeit zu Übertreibungen am Kreditmarkt kommt. Die gegenwärtige Situation in der Schweiz zeigt dies exemplarisch: Vor dem Hintergrund der seit vielen Jahren weltweit nach unten tendierenden Zinsen und des im Zuge der Finanzkrise stark aufwertenden und weiterhin hoch bewerteten Frankens muss die Schweizerische Nationalbank bereits seit mehreren Jahren die Zinsen tief halten. Infolge des globalen Zinsrückgangs weisen auch die Hypothekarzinsen in der Schweiz einen seit rund 25 Jahren anhaltenden Abwärtstrend auf. Dies hat den Aufbau von Ungleichgewichten am Immobilien- und Hypothekarmarkt begünstigt.

Um Übertreibungen am Kreditmarkt entgegenzutreten, finden seit der Finanzkrise makroprudenzielle Instrumente international zunehmend Verbreitung. Es wäre aber vermessen anzunehmen, dass dadurch jegliche Risiken für die Finanzstabilität entschärft werden könnten. Es ist daher nach wie vor von zentraler Bedeutung, dass alle Akteure am Kreditmarkt stets genügend Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen.