Konjunktur und Inflation: Stehen wir an einem Scheideweg?

Jean-Pierre Roth, Präsident des Direktoriums

Mittagsdiskussion von "Genève Place Financière", Genf, 28.08.2006

Während ein ausnehmend starkes Wachstum und ein mässiger Inflationsdruck die Weltwirtschaft kennzeichnen, herrscht bezüglich der weiteren Entwicklung Ungewissheit. Kommt es zu einer Wende im Konjunkturzyklus und einer Beschleunigung der Inflation?

Bei der Nationalbank verfolgen wir das Szenario eines baldigen Einbruchs der Weltkonjunktur nicht, auch wenn eine gewisse Wachstumsverlangsamung eintreten sollte. Es scheint tatsächlich so, als ob in den USA die Bedingungen für eine weiche Landung der Wirtschaft gegeben sind, wobei in der zweiten Jahreshälfte auch in Europa ein Rückgang der Wirtschaftsaktivitäten eintreten sollte. Was die Teuerung anbelangt, so ist der kürzliche Anstieg des Konsumentenpreisindexes vorwiegend auf die direkt von den Energiepreisen beeinflussten Güter- und Dienstleistungskosten zurückzuführen. Währenddessen ist die Kerninflation relativ schwach geblieben. Angesichts weltweit abflauender Ausgaben und sich normalisierender Währungsbedingungen dürfte der Inflationsdruck moderat bleiben.

Diese Einschätzung gilt auch für die Schweiz. Die starke Dynamik des Produktions-, des Finanz- und des Bausektors, auf welcher das konjunkturelle Wachstum in der Schweiz während der letzten Quartalen beruhte, dürfte sich namentlich infolge der erwarteten Rückbildung der weltweiten Nachfrage abschwächen. Im Jahr 2006 dürfte das BIP in der Schweiz auf etwas über 2,5% ansteigen – eine vorsichtige Prognose – und sich 2007 nach einem leichten Rückgang bei etwa 2% einpendeln. Die Teuerung bei den Konsumentenpreisen erreichte im Juli 1,4% und lag damit knapp über der von uns gemessenen Kerninflation. Diese betrug 1,2%, das höchste seit April 2002 verzeichnete Niveau. Solche Zahlen sind allerdings weit von der 2%-Grenze entfernt, die wir mit Preisstabilität gleichsetzen. Für das ganze Jahr 2006 gehen wir von einer durchschnittlichen Inflation von knapp 1,5% aus und erwarten keine grossen Veränderungen für 2007.

Was die Geldpolitik angeht, bedingen die guten weltweiten und inländischen Konjunkturaussichten sowie der hohe Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten eine Fortsetzung der von uns eingeleiteten Normalisierung des Leitzinses, also des für den Dreimonatslibor festgesetzten Zielbandes. Dies wird umso deutlicher, als die Abwertung des Frankens gegenüber dem Euro seit unserem letzten Zinsentscheid Mitte Juni zu einer bedeutenden Lockerung der globalen monetären Bedingungen geführt hat.