Starker Franken und hoher Ertragsbilanzüberschuss: ein Widerspruch?

Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums

Schweizerisches Institut für Auslandforschung, Zürich, 19.02.2013

Seit bald 18 Monaten setzt die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro mit aller Konsequenz durch. Aufgrund der massiven Aufwertung des Frankens im Sommer 2011 wird die Notwendigkeit dieser Massnahme im In- und Ausland weitgehend anerkannt. Gleichwohl gibt es vereinzelt Stimmen, die aus dem hohen Überschuss in der Schweizer Ertragsbilanz ableiten, dass der Franken zu schwach sei. Um einen Beitrag zum Abbau der globalen Ungleichgewichte zu leisten, solle die SNB folglich eine Aufwertung des Frankens zulassen.

Diese Argumentation basiert auf Unkenntnis der Situation in der Schweiz. Für den Schweizer Ertragsbilanzüberschuss sind spezifische Faktoren verantwortlich. So trägt der Handelsbilanzsaldo nur wenig zum Überschuss bei. Massgebend sind erstens Kapitaleinkommen auf das hohe Nettoauslandsvermögen der Schweiz. Zweitens fliessen die Einnahmen des traditionell bedeutsamen Finanzsektors aus dem Geschäft mit ausländischen Kunden in die Ertragsbilanz ein. Drittens sind in den letzten zehn Jahren die Erträge aus dem Transithandel markant gestiegen. Zudem wird der Ertragsbilanzüberschuss statistisch überschätzt.

Die drei für den Ertragsbilanzüberschuss wichtigsten Grössen hängen ab von der Entwicklung im Ausland, von den internationalen Finanzmärkten und von der weltweiten Rohstoffnachfrage. Der Wechselkurs des Frankens spielt dagegen keine bestimmende Rolle. Somit besteht kein Widerspruch zwischen dem starken Franken und dem hohen Schweizer Ertragsbilanzüberschuss. Der Überschuss ist auch kein geeignetes Mass, den Anteil der Schweiz an den globalen Ungleichgewichten zu beurteilen. Vielmehr zeigt sich, dass die Schweiz mit ihren umfangreichen Direktinvestitionen im Ausland einen ansehnlichen Beitrag zu einem ausgeglichenen weltweiten Wirtschaftswachstum leistet.

Die Geldpolitik der SNB ist auf die Gewährleistung der Preisstabilität ausgerichtet. Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung. Um diesen Auftrag zu erfüllen, muss die SNB angemessene monetäre Bedingungen sichern. Die Ertragsbilanz spielt für die Geldpolitik keine Rolle. In einer offenen Volkswirtschaft wie der Schweiz schlagen sich aber grosse Wechselkursveränderungen stark auf Produktion und Preise nieder. Im gegenwärtigen Umfeld und mit Zinsen bei null ist der Mindestkurs daher die richtige geldpolitische Massnahme. Die SNB wird ihn deshalb weiterhin mit aller Konsequenz durchsetzen.