Geldpolitik und Ölpreise: Ein neues Paradigma?

Philipp Hildebrand, Mitglied des Direktoriums

Swiss-American Chamber of Commerce, New York, 18.11.2004

Die Ölpreisentwicklung im Jahre 2004 weckt Erinnerungen an die schmerzhaften Ölschocks der siebziger Jahre. Der diesjährige Ölpreisanstieg fällt real betrachtet jedoch wesentlich geringer aus und die Inflationserwartungen sind fest verankert. Dennoch unterstützen verschiedene Faktoren die Hypothese eines Anstiegs des langfristigen Niveaus der Ölpreise: die Integration von grossen Ölimportländern in die Weltwirtschaft, tiefe Öllagerbestände, zu geringe Investitionen in die Angebotskette der Ölproduktion, sowie die Rolle des Öls als eigenständige Anlagekategorie. Ein Ölpreisanstieg scheint sich heute zwar schneller als früher in der allgemeinen Inflation niederzuschlagen. Dank Globalisierung, abnehmender Ölabhängigkeit und Zentralbanken, welche stark der Preisstabilität verpflichtet sind, ist das Ausmass dieses Effektes auf die Inflation jedoch geringer als früher. In diesem Zusammenhang sind die Kerninflationsmasse, welche potenzielle Zweitrundeneffekte durch verändertes Lohn- und Preissetzungsverhalten auffangen, für die Geldpolitik von Bedeutung. Aktuell scheint die Preisstabilität nicht gefährdet zu sein. Solange die längerfristigen Inflationserwartungen fest verankert bleiben, kann die Geldpolitik den temporären Anstieg der Inflation ignorieren. Die zentrale Aufgabe einer Notenbank bleibt es, diese längerfristigen Inflationserwartungen fest zu verankern. Die Schweizerische Nationalbank würde umgehend reagieren, wenn Anzeichen von Zweitrundeneffekten ihren langfristigen Erfolg in der Gewährleistung der Preisstabilität gefährden würden.