Volkswirtschaft ist, was Volkswirtschaftler tun

Niklaus Blattner, Vizepräsident des Direktoriums

Eröffnungsveranstaltung des Integrated Master Programme, Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftliche Fakultät, Bereich Wirtschaftswissenschaften, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im Breisgau, 22.10.2004

Basierend auf persönlichen Erfahrungen an der Universität, in der Wirtschaft und bei einer Notenbank wird anhand von Beispielen gezeigt, was es heisst, Volkswirtschaftler oder Ökonom zu sein. An der Universität bedeutet dies Lehre und Forschung. In der Volkswirtschaft, wie auf anderen Gebieten auch, hängt der Erfolg von Publikationen ab, von der Wahl der richtigen Themen, die von Fachleuten überprüft werden und in Fachzeitschriften erscheinen. Ein Professor, der unterrichtet, sollte in der Lage sein, seine Studentinnen und Studenten auf eine immerwährende Reise des Lernens zu führen.

Eine Tätigkeit für die Regierung wiederum bedeutet eine andere Herausforderung. Politiker neigen von Natur aus dazu, Ratschläge, die mit ihren politischen Bedürfnissen übereinstimmen, einzuholen. Ökonomen, die als Staatsbeamte oder Regierungsberater tätig sind, unterliegen ganz automatisch der Versuchung, opportunistisch zu handeln. Das zahlt sich nicht aus, da längerfristig ihr berufliches Ansehen unweigerlich ernsthaft darunter leidet. Ökonomen sollten dem Wunsch zu gefallen nicht nachgeben. Die Einführung des Euros dient als Beispiel dafür, wie es Ökonomen gelang, die verschiedenen Erwartungen von Politik und Wirtschaft zu erfüllen.

Die Herausforderungen, die eine Tätigkeit in der Wirtschaft mit sich bringt, werden veranschaulicht durch die Geschichte eines jungen Ökonomen, der in den Dienst einer grossen multinationalen Gesellschaft tritt. Die Komplexität eines Grossunternehmens kann überwältigend sein. Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen. Die erste lautet: Die berufliche Qualität eines Betriebswirtschaftlers ist wichtig. Doch berufliche Qualität allein genügt nicht. Qualität geht in der Bürokratie leicht unter. Das führt zu einer zweiten Schlussfolgerung: Jeder junge Volkswirtschaftler, der sich mit einer schlechten Führung konfrontiert sieht, hat eine Wahl. Er kann entweder "gehen" oder "sprechen". Beide Arten von Reaktion können fruchtbar sein. Sich zu äussern, kann sich auszahlen, weil Geschäftsunternehmen lebende Organisationen sind, die von Kritik profitieren.

Bei einer Notenbank ist die Herausforderung wiederum eine andere. Das Notenbankgeschäft wird häufig als Kunst bezeichnet. Ökonomen müssen ausserordentliche fachliche Fähigkeiten besitzen und gleichzeitig verstehen, welche Gegebenheiten die verschiedenen Marktstimmungen erzeugen. Ökonomen müssen aber auch verstehen, welche Grenzen ihren Modellen gesetzt sind, um die Schwachpunkte in ihren Ergebnissen zu identifizieren. Überdies müssen sie durchschauen, was sich in der Wirtschaft tatsächlich abspielt, auch bei unvollkommenen statistischen Angaben. Unterscheidungsvermögen ist nötig. Alles in allem ist die Frage nicht so sehr, was ein Volkswirtschaftler, eine Volkswirtschaftlerin tut, sondern wie sie es tun.