Geldpolitik ohne Notenbankgeld: Eine schweizerische Sicht

Georg Rich, Direktor der Schweizerischen Nationalbank

"Conference on the Future of Monetary Policy", veranstaltet im Auftrag der Weltbank, Washington, 11.07.2000

Anfang 2000 passte die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihr geldpolitisches Konzept an. Sie gab ihr Geldmengenziel zu Gunsten eines Ansatzes, der auf einer Inflationsprognose beruht, auf. Der unmittelbare Grund für die Konzeptänderung lag in Instabilitäten in der Nachfrage nach Notenbankgeld, der bis Ende 1999 geltenden Zwischenzielvariable der SNB. Diese Schwierigkeit allein hätte indessen keine Aufgabe des Geldmengenziels erfordert, da sich die Geldnachfrage in der Schweiz im Allgemeinen stabil verhält. Insbesondere existiert eine ziemlich stabile Nachfrage für das Geldaggregat M3. Der Übergang zu einem neuen geldpolitischen Konzept erklärt sich aus einem grundlegenderen Problem, der Geldmengenpolitik. Während die Notenbankgeldmenge als wirksamer langfristiger Anker für die Geldpolitik diente, war sie weniger geeignet als Entscheidungshilfe bei der Frage, wie die SNB auf unerwartete Störungen, die vor allem von der Konjunkturentwicklung und vom Wechselkurs ausgehen, reagieren sollte. Der auf einer Inflationsprognose beruhende geldpolitische Ansatz dürfte der SNB gestatten, besser auf solche Störungen zu reagieren.

Das neue geldpolitische Konzept besteht aus drei Elementen: (1) Die SNB setzt Preisstabilität, das hauptsächliche Endziel der schweizerischen Geldpolitik, mit einer am KPI gemessenen Inflationsrate von unter 2% pro Jahr gleich. Die SNB legt keine präzise Untergrenze für den Bereich der Preisstabilität fest, tritt aber nachhaltigen deflationären Entwicklungen mit Nachdruck entgegen. Sie behandelt ihre Definition der Preisstabilität auch nicht als Inflationsziel, da sie bereit ist, temporäre Abweichungen der Inflation vom Bereich der Preisstabilität – falls nötig – hinzunehmen. (2) Die SNB stützt ihre geldpolitischen Entscheide grundsätzlich auf eine Inflationsprognose für die folgenden drei Jahre. Sie publiziert ihre Prognosen zweimal pro Jahr, d.h. im Juni und Dezember. Unter Umständen muss die SNB ihre Geldpolitik auch zu einem Zeitpunkt anpassen, zu dem sie keine neue Inflationsprognose veröffentlicht. Zu diesem Zweck nennt sie wichtige geldpolitische Indikatoren, die in ihre Inflationsprognose einfliessen. Längerfristig wird die Inflation vor allem durch die Entwicklung der Geldaggregate, insbesondere der Geldmenge M3, erklärt. In der kurzen Frist sind die konjunkturelle Verfassung der Wirtschaft und der Wechselkurs massgebend. Deshalb kann die SNB ihre Geldpolitik – falls nötig – auch mit Bezug auf diese Indikatoren anpassen. (3) Die SNB kleidet ihre geldpolitischen Entscheide in ein operationales Band für den dreimonatigen Libor-Zinssatz für Schweizer Franken. Die Breite des Bandes beträgt einen Prozentpunkt.